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Wie ich Abgeordneter einer Stadtverordnetenversammlung in der DDR wurde

Ein Bericht von Wolfgang Hirsch, Eilenburg

Wenn man zu DDR-Zeiten als frischgebackener Hochschulabsolvent in das Berufsleben eintrat und immer noch nicht den Weg in die Reihen der Partei der Arbeiterklasse gefunden hatte, war man schon etwas Besonderes. Man wurde von vielen Seiten heftig umworben, endlich diesen Schritt zu tun. „Bekenne endlich Farbe, zeige, dass du auf der richtigen Seite stehst“ - so und ähnlich wurde immer wieder argumentiert. Es war nicht einfach, diesen Anwerbungsversuchen zu widerstehen, ohne sich gleichzeitig seine beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten zu verbauen.

Mein persönlicher Ausweg aus diesem Dilemma bestand darin, dass ich erwog, in eine Blockpartei einzutreten. Die Partei- und Staatsführung der DDR legte bekanntlich großen Wert darauf, den äußeren Anschein eines demokratischen Gemeinwesens zu wahren. Dazu gehörte, dass mehrere politische Parteien zugelassen waren, die in einem so genannten „demokratischen Block“ zusammengeschlossen wurden. Eigenständige politische Ziele konnten sie freilich nicht verfolgen. Vielmehr war ihnen die Rolle zugedacht, die Bevölkerungsschichten an sich zu binden, die, aus welchen Gründen auch immer, der sozialistischen Einheitspartei und ihrer Politik abwartend oder skeptisch gegenüberstanden, sich aber dennoch in irgendeiner Form politisch engagieren wollten.

Natürlich war mir bewusst, dass es aussichtslos war, im Rahmen dieser „Blockparteien“, die nur die Funktion eines demokratischen Feigenblattes zu erfüllen hatten, irgendwelche eigenständigen politischen Ziele zu verfolgen, aber ich wollte wenigstens in eine Gruppierung eintreten, in der Raum für einigermaßen offene Diskussionen war.

Für mich erwies sich, dass die LDPD, die liberal-demokratische Partei, das ostdeutsche Gegenstück zu bundesdeutschen F.D.P, diesem Anspruch noch am ehesten gerecht wurde.
Also wurde ich 1972 LDPD-Mitglied im Kreisverband Eilenburg.

Dazu muss man wissen, dass im Jahre 1972 fast alle noch verbliebenen Privatbetriebe mit mehr oder weniger sanftem Druck durch die SED in „Volkseigentum“ überführt worden waren. Der scheinbare Anstoß dazu war von der LDPD ausgegangen. Ein trotz aller Restriktionen immer noch relativ erfolgreicher Mittelständler und Mitglied der LDPD hatte es angeblich satt, unter sozialistischen Bedingungen seine Arbeitnehmer weiter auszubeuten. Deshalb hatte er seinen Betrieb, ein Werk für Modelleisenbahnen, an Vater Staat verkauft. Kein Wunder, dass die anderen Mittelständler sauer waren und sich hintergangen fühlten.

Die LDPD-Führung der DDR, die bei diesem Coup mitgespielt hatte, musste danach hart um ihr politisches Überleben kämpfen, weil ihr die mittelständischen Mitglieder in Scharen davonliefen. So nahmen sie mit Freuden jeden auf, der zu ihnen kam, auch wenn er kein Handwerker oder Gewerbetreibender war. Bei dieser politischen Großwetterlage war es also für mich kein Problem, dort Mitglied zu werden.

Nun war mir klar, dass man in den zuständigen Parteigremien der SED vermuten würde, dass ich nur deshalb in diese „Blockpartei“ eingetreten war, um mich vor einer Mitgliedschaft in der Einheitspartei zu drücken. Ich suchte nach einer Möglichkeit, wie ich solchen Vermutungen, die ja nicht unbegründet waren, wirksam entgegentreten könnte.

Die Gelegenheit kam im Jahre 1974. Zu dieser Zeit standen turnusmäßig Kommunalwahlen an. Der Kreisverband Eilenburg war zahlenmäßig arg zusammengeschmolzen, denn von den wenigen mittelständischen Handwerkern und Kleingewerbetreibenden, die nach dem ökonomischen Aderlass 1972 in der LDPD verblieben waren, hatten die wenigsten Lust, unter den neuen ökonomischen Bedingungen auch noch den Demokraten zu spielen. Logisch, dass die Führung der LDPD im Vorfeld dieser Kommunalwahlen große Probleme hatte, die ihr zustehenden Listenplätze mit geeigneten Kandidaten auszufüllen.

Was lag aus ihrer Sicht also näher, als diesen jungen, hoffnungsvollen Hochschulkader, der ich ja war, als Kandidat für die Eilenburger Stadtverordnetenversammlung auszuwählen. Ich bekam also meinen Listenplatz und wurde natürlich gewählt. Dieser Legislaturperiode schlossen sich weitere an und so konnte ich bis zum Jahre 1989 die Geschicke der Stadt mit „bestimmen“.

An meinem Arbeitsplatz in einem Leipziger Institut führte dieser unerwartete Umstand zu einer Neubewertung meiner Person: Vom unsicheren Kantonisten, der sich erfolgreich vor dem Eintritt in die alles bestimmende Partei der Arbeiterklasse gedrückt hatte, avancierte ich von einem Tag auf den anderen zum Vorzeigedemokraten, mit dem sich mein Betrieb schmücken konnte. 




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