Logo
Der Calvinistensturm 1593

Unter der Regentschaft von Kurfürst Christian I. und seines Kanzlers Nikolaus Krell ab 1586 wurde das dogmatische Bekenntnis zu der sich herausbildenden lutherischen Orthodoxie, welches der Kurfürst-Vater August mit der Konkordienformel durchgesetzt hatte, wieder revidiert. Dadurch konnten die sog. Kryptocalvinisten in Sachsen und auch in Leipzig ihren Einfluss vergrößern. Mit einer neuen Universitätsordnung 1588 wurden Reformen und personelle Veränderungen an der Uni Leipzig eingeleitet. So musste u.a. Selnecker - der Mitautor der Konkordienformel - Leipzig verlassen. Er wurde durch Christoph Gundermann und Wolfgang Harder ersetzt, die beide mit dem Calvinismus sympathisierten.

Calvinistensturm

Überführung verhafteter Calvinisten in die Pleißenburg

Mit dem Tod Christians 1591 sowie der Verhaftung und späteren Hinrichtung (1601) von Krell gewann die orthodoxe lutherische Restauration wieder die Oberhand. Unter dem Einfluss der Witwe des Kurfürsten sowie der vormundschaftlichen Regierung Herzog Friedrich Wilhelm I. von Sachsen-Weimar wurde die alte Ordnung konsequent wiederhergestellt. Viele "Kryptocalvinisten" verließen Kursachsen, was einen Verlust an profilierten Gelehrten und politisch fortschrittlichen Kräften bedeutete. Auch an der Universität wurden die Dogmen der Konkordienformel wieder eingeführt. Harder wurde in Ruhestand versetzt. Gundermann wurde verhaftet, und nach Widerruf ging er 1592 nach Heidelberg. Dabei ist bezeichnend für die Geisteshaltung eines Teils der Studentenschaft folgende Begebenheit:
Kurz vor der Verhaftung von Professor Gundermann veranstalteten die Studenten eine wüste Gerichtsverhandlung vor seinem Hause, in der sie ihn symbolisch zum Tode verurteilten.


Calvinistensturm
 
Erstürmung und Plünderung von Häusern der Calvinisten  
Die in dieser Umbruchsituation entstandenen Spannungen entluden sich im Mai 1593 im sog. "Calvinistensturm". Die aufgebrachte Menge, unter ihnen viele Studenten, erstürmten mehrere Häuser von reichen Bürgern der Stadt Leipzig, die als Anhänger der Calvinisten ausgemacht waren. Überwiegend galten diese Überfälle ausländischen Kaufleuten, die sich in der Stadt niedergelassen hatten. So wurde z.B. das Haus des Kaufmannes Weinhaus auf dem Markt mehrfach gestürmt und geplündert - Weinhaus flüchtete in einer Kutsche, unter dem Rock einer Jungfrau versteckt.
 
  Hinrichtung von vier "Aufrührern" auf dem Markt.
Durch Bürgeraufgebot und Söldner gesicherte Richtstätte
mit den schon bereitgehaltenen Särgen.
Der Rat der Stadt griff erst ein, als größere Unruhen befürchtet werden mussten. Von mehr als 30 Verhafteten wurden vier zum Tode verurteilt: der Maurer George Hempel, der Kürschner Ambrosius Hartsch, der Teichgräber Hans Wintzer sowie der Zimmergeselle Urban Görtner. Sie wurden am 1. Juni 1593 auf dem Markt enthauptet und auf dem Gottesacker vor dem Grimmaischen Tor bestattet. Die übrigen Gefangenen wurden entweder "mit Ruthen gestrichen", des Landes verwiesen oder ohne Strafe entlassen.
Unter den Bestraften waren keine Mitglieder der Universität. Ob diese eigene Strafmaßnahmen ergriff, ist nicht bekannt. Dieses Ereignis und andere Spannungen dieser Zeit waren Anlass, erneut über die Rechtshoheit von Stadt und Universität zu verhandeln. 1605 wurden entsprechende Festlegungen getroffen, welcher Personenkreis die Privilegien der Universität in Anspruch nehmen kann und für welchen die Universitätsgerichtsbarkeit Gültigkeit hat.

Quelle der Abbildungen:
Schneider, W.: Leipzig - Streifzüge durch die Kulturgeschichte, Köln 1995

 Zur Zeittafel      Seitenanfang      Diese Seite drucken