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Die Entwicklung der Leipziger Bibliotheken

Leipzigs Ruf, eine Stadt der Bücher zu sein, begründete sich nicht nur auf die hier ansässigen Druckereien, Verlage und den Buchhandel, sondern auch die Leipziger Bibliotheken waren über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Der Handel als Haupterwerbszweig der Bewohner Leipzigs ließ die Stadt weltoffen und wohlhabend werden. Dazu trug auch die Universität bei. Universität und Handelsplatz begünstigten Ende des 15. Jh. die Ansiedelung der ersten Buchdrucker und Buchhändler. Seitdem gehört die Ware Buch zum Leben vieler Leipziger Bürger. Doch auch schon vor dieser Zeit wurden in Leipzig Bücher gesammelt, insbesondere in den vier Klöstern der Franziskaner, Augustiner Chorherren, Zisterzienserinnen und Dominikaner, und an der Universität gab es kleinere Bibliotheken zum Gebrauch der Professoren.
Nach der Reformation in Sachsen 1539 und der damit verbundenen Auflösung der Klöster entstand mit der Universitätsbibliothek die erste größere Bibliothek in Leipzig. 1543 wurde unter Caspar Borner der Universität das Paulinerkloster der Dominikaner mit seinem Grundbesitz und damit auch der Klosterbibliothek übereignet. Es folgten die Büchersammlungen der Augustiner Chorherren von St. Thomas und der Franziskaner sowie die Bibliotheken weiterer sächsischer Klöster. Wertvolle Privatbibliotheken von Professoren gingen ebenso in die Bestände der Universitätsbibliothek ein, sodass die junge Universitätsbibliothek (Bibliotheca Paulina) schnell zur größten und bedeutendsten Bibliothek Sachsens heranwuchs.

Biliothek im Mittelpaulinum

Büchersaal in der Paulinerbibliothek 1890

Die Bibliotheca Paulina diente vorwiegend Professoren, Magistern und Studenten als Arbeitsbibliothek. Für die Öffentlichkeit war sie kaum zugänglich, und auch die Erweiterung der Bestände ließ zu wünschen übrig. Erst Ende des 17. Jahrhunderts verbesserte Joachim Feller die Benutzungsbedingungen durch die Neuordnung und Katalogisierung des Bestandes. 1686 veröffentlichte er einen Handschriftenkatalog. Bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts blieb die Universitätsbibliothek aber in erster Linie eine Wissenssammlung für den Bedarf des Lehrkörpers und der Studenten der Universität.
In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts verlor die Universität ihre juristische Selbständigkeit und wurde dem Ministerium für Kultus und öffentlichen Unterricht in Dresden unterstellt. Zum ersten hauptamtlichen Vorsteher einer deutschen Universitätsbibliothek wurde 1833 Ernst Gotthelf Gersdorf bestellt, der die Reorganisation der Bibliothek nach wissenschaftlichen Grundsätzen in Angriff nahm. Bis 1858 wurden ein neuer alphabetischer und ein neuer Sachkatalog erstellt. Die aus Dresden fließenden Mittel führten zur Erweiterung des Buchbestandes und damit zu räumlicher Enge in den seit 300 Jahren genutzten Räumen im ehemaligen Paulinerkloster. Nach zeitweiliger Unterbringung im 1836 fertiggestellten Bau des Augusteums konnte 1891 der repräsentative Neubau von Arwed Roßbach an der Beethovenstraße, der Bibliotheca Albertina, bezogen werden. In der Folge stieg die Bibliothek zur größten deutschen Universitätsbibliothek auf.
Universitätsbibliothek Beethovenstraße Historischer Stich der Bibliotheca Albertina

Leipzig erhielt eine weitere bedeutende Bibliothek, als 1677 der Rechtsanwalt Huldreich Groß testamentarisch dem Rat der Stadt seine ca. 4000 Bände umfassende Privatbibliothek und sein Vermögen hinterließ. Er bestimmte, dass davon "eine Bibliotheca zum Nutzen der studierenden Stadtjugend" eingerichtet werden sollte. Er legte damit den Grundstein für die allerdings erst 1711 gegründete Ratsbibliothek (Bibliotheca senatus lipsiensis), aus der zwischen 1831 und 1835 die Leipziger Stadtbibliothek hervorging. Ihr erstes Domizil war im Zeughaus am Alten Neumarkt (heute Universitätsstraße).
Die Ratsbibliothek entwickelte sich im 18. Jahrhunderts zum bürgerlichen Pendant einer fürstlichen Buch-, Kunst- und Raritätensammlung. Sie hatte einen umfangreichen Buch-, Inkunabeln- und Handschriftenbestand sowie Kunst- und Naturaliensammlungen, physikalisch-mathmatische Geräte, ein Münzkabinett und eine ägyptische Mumie.
Johann Jakob Mascov stand als Ratsherr im Stadtrat seit 1735 der Ratsbibliothek vor. Unter seiner Leitung endete die museale Phase der Ratsbibliothek, es begann die Entwicklung zur wissenschaftlichen Bibliothek. Die systematische Katalogisierung der Buchbestände begann. 1755 wurde auf Initiative Mascovs ein neuer prächtiger Bibliothekssaal im alten Gewandhaus eröffnet, der die Rats-, später Stadtbibliothek bis 1943 beherbergte, als im Bombenhagel das alte Gewandhaus und damit der größte Teil des Buchbestandes der Stadtbibliothek vernichtet wurden.
Nach 1831 wurde die Tätigkeit der Stadtbibliothek von den Stadtverordneten kontrolliert. Die erste Forderung betraf Maßnahmen zur Liberalisierung der Benutzungsbedingungen sowie zur Aktualisierung des Buchbestandes. Unter Emil Wilhelm Robert Naumann (1809-1880) entwickelte sich die Bibliothek zu einer wissenschaftlichen Bibliothek.
Mit der Übernahme der Bibliothek des Leipziger Professors Karl Ludwig Poelitz gelangte 1839 dessen Sammlung von Musikhandschriften und Musikdrucken in die Stadtbibliothek, die den Grundstock für eine bedeutende Sondersammlung bildete. Die Veröffentlichungen zur Theorie und Geschichte der Musik und Kompositionen wurden 1856 erweitert durch die Übereignung der Musiksammlung des Leipziger Organisten Carl Ferdinand Becker.
Seit 1881 wurde die Stadtbibliothek hauptamtlich geleitet. Erster hauptamtlicher Direktor der Stadtbibliothek und gleichzeitig des Ratsarchivs war Gustav Wustmann, dessen Verdienst auf dem Gebiet umfangreicher stadtgeschichtlicher Forschung und Publikation und in der Erweiterung des Buchbestandes lag. Als öffentliche städtische Bibliothek spielte die Stadtbibliothek aber in jener Zeit wegen zahlreicher restriktiver Maßnahmen Wustmanns kaum eine Rolle.
Der Nachfolger Wustmanns ab 1911, Ernst Kroker, betonte wieder den öffentlichen Charakter der Bibliothek. Er regte 1910 mit einem Gutachten zur Situation der Volksbibliotheken in Leipzig die Einrichtung der vier Jahre später von Walter Hofmann errichteten Bücherhallen an.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts setzte mit der Aufklärung auch in breiten Bevölkerungskreisen ein wahrer Bildungshunger und "Lesewut" ein, die die bestehenden Bibliotheken nicht stillen konnten. Buchhändler führten deshalb die Lese- und Leihbibliotheken ein, in denen man Schriften zur Lebenshilfe, zur Kindererziehung, zur beruflichen Bildung, philosophische, religiöse und naturwissenschaftliche Werke sowie Romane ausleihen konnte. Als positives Beispiel einer privaten Leihbibliothek sei das 1795 in der Petersstraße 33 eröffnete "Museum für Freunde der Wissenschaften, der schönen Künste und Lectüre" des Buchhändlers Johann Gottlob Beygang genannt. Es bot aktuelle Informationen durch deutsche und ausländische Zeitungen und Journale sowie einen reichen Buchbestand und wurde vom Leipziger Bildungs-, Beamten- und Handelsbürgertum genutzt. 1828 kaufte Anton Philipp Reclam eine Leihbibliothek auf (Reclams "Literarisches Museum"), wobei es sich wahrscheinlich um die Beygangsche handelte.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Leipzig zum Zentrum der Arbeiterbewegung mit ihren Arbeiter-Bildungsvereinen. Der 1861 gegründete Gewerbliche Bildungsverein unterhielt auch eine Bibliothek, die am Anfang von August Bebel geleitet wurde. Aus dieser ersten Arbeiterbibliothek entwickelte sich das Leipziger Arbeiterbibliothekswesen. Neben den großen wissenschaftlichen Bibliotheken sind kleinere und Spezialbibliotheken erwähnenswert, so zum Beispiel die Bibliothek der Deutschen Gesellschaft, die 1872 ins Leben gerufene Comenius-Bibliothek als pädagogische Zentralbibliothek mit überregionaler Bedeutung, die seit 1894 bestehende Zentralbücherei für Blinde.
1912 wurde vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler die bedeutendste Bibliothek Leipzigs, die Deutsche Bücherei, als Archiv des deutschsprachigen Schrifttums gegründet und 1916 eröffnet.

Quelle der Abbildungen: Füßler, H. (Hrsg.): Leipziger Universitätsbauten, Leipzig 1961

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