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Johann Sebastian Bach und die Universität

Bach ist am 21. März 1685 in Eisenach geboren und lebte ab Mai 1723 bis zu seinem Tod am 28. Juli 1750 in Leipzig.


Bach
 
Johann Sebastian Bach  
Die Bedeutung des Amtes des Thomaskantors in Leipzig wäre heute mit der eines General- musikdirektors für Kirche, Stadt und Universität zu vergleichen. Der Thomaskantor stand im Dienst der Stadt und war in universellem Sinne für die Geschicke des Leipziger geistlichen wie weltlichen Musiklebens verantwortlich.
Die Thomasschule war nach der Nikolaischule die zweite Lateinschule der Stadt. Da die Stadt die Kosten trug, mussten sich die Schüler nützlich machen. Die Stadt hatte auch für die Kirchen zu sorgen, deshalb mussten die Schüler in den Stadtkirchen musizieren. Dafür war in der Schule ein Lehrer eingesetzt, der neben dem Lateinunterricht auch für die Kirchenmusik zu sorgen hatte. Der Chor der Thomasschule hatte in erster Linie die Aufgabe, die Musik in den Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai auszuführen. Hinzu kam der Dienst in den übrigen Kirchen, der Neuen Kirche und der Peterskirche. Durch das Singen auf den Straßen und Plätzen musste sich der Chor auch Geld erbetteln, das unter Lehrern und Schülern aufgeteilt wurde.
Der Thomaskantor hatte außerdem die musikalische Ausgestaltung von Hochzeiten, Begräbnissen, städtischen Festlichkeiten, Geburtstagen, Beerdigungen usw. der Honoratioren von Kirche, Stadt und Universität zu bestreiten. Er hatte textlich und musikalisch passende Kantaten für jeden Sonntag und außerdem Kompositionen von Passionen und Oratorien für die Hauptgottesdienste Weihnachten, Karfreitag, Ostern bereitzustellen. Außerdem hatte er Unterrichtsverpflichtungen an der Thomasschule in Gesang, Musiktheorie, Instrumentalspiel und Latein. Dazu kamen weitere Verpflichtungen wie Prüfungen, Orgelabnahmen und die Verwaltung des städtischen Instrumentariums.

Als im Juni 1722 der Thomaskantor Johann Kuhnau verstarb, wollte der Rat der Stadt den freien Posten mit einem namhaften Musiker besetzen. An Bach, der von Fachleuten als Orgelvirtuose verehrt wurde, aber als Komponist wenig bekannt war, dachte niemand. Zunächst favorisierte man den damals weltberühmten Komponisten Georg Philipp Telemann. Dieser schien nicht abgeneigt zu sein, an den Ort seiner studentischen Erfolge zurückzukehren, benutzte aber den ehrenvollen Ruf aus Leipzig, um bei seiner Hamburger Kirchenbehörde eine Gehaltsaufbesserung zu erwirken und sagte schließlich Leipzig ab. Andere Bewerber sagten den Ratsherren nicht zu oder schreckten vor der Verpflichtung zurück, in der Thomasschule Lateinunterricht geben zu müssen. Mit dem Darmstädter Kapellmeister Christoph Graupner, einem ehemaligen Thomaner und Studenten der Leipziger Universität, glaubte man den Richtigen gefunden zu haben, doch sein Dienstherr gab ihn nicht frei. Erst als Graupner Bach im April 1723 als einen "Musicus ebenso starck auf der Orgel wie erfahren in Kirchensachen und Capell-Stücken" empfohlen hatte, war man in Leipzig bereit, Bach als Thomaskantor zu gewinnen. "...da man nun die besten nicht bekommen könne, müße man mittlere nehmen..." war dazu im Ratsprotokoll zu lesen.

Bach musste sich in Leipzig oft gegen missliche Zustände und eine "wunderliche, der Music wenig ergebene Obrigkeit" zur Wehr setzen. Während die Favoriten für das Amt des Thomaskantors Telemann, Fasch, Graupner in Leipzig studiert und von der Universität aus das Leipziger Musikleben entfaltet hatten, war Bach kein Studierter, hatte bis dahin nicht als Lehrer gearbeitet und kam von außerhalb. Ihm gestand man keine Sondervergünstigungen zu. Man wollte in Leipzig einen braven Angestellten, der neben dem Lateinunterricht das Nötige an Musik bei den Gottesdiensten und Begräbnissen besorgte, keine Ansprüche stellte und mit dem, was an Nebeneinnahmen zusammenkam, genauso zufrieden war wie mit den vorhandenen Mitteln zum Musizieren.
Aber Bach fing an zu wirken. Allwöchentlich schrieb er eine neue Kantate, insgesamt fünf vollständige Jahreszyklen von Sonntags- und Festtagskantaten mit rund 300 Werken (von denen etwa 200 erhalten sind). Für die großen kirchlichen Feste entstanden das Weihnachtsoratorium (BWV 248, 1734), fünf Passionsvertonungen (komplett erhalten sind nur die Johannespassion, BWV 244, 1724, und die Matthäuspassion, BWV 245, 1727 oder 1729), die h-Moll-Messe (BWV 232, 1724 bis um 1747/1749), das Magnificat (BWV 243, 1723), das Himmelfahrtsoratorium (BWV 11, 1735) und das Osteroratorium (BWV 249; 1725-1735). Für Beerdigungen schrieb Bach seine Motetten BWV 225-231, die zu den bedeutendsten Vokalwerken des 18. Jahrhunderts gehören. Außerdem entstanden zahlreiche andere Werke - die großen zyklischen Instrumental- und Vokalkompositionen sowie Orgel-, Klavier- und Kirchenwerke, z. B. die vier Orchestersuiten (1717-1730), mehrere Instrumentalkonzerte, die Orgelchoräle. Neben den in dieser Zeit verfassten Klavierwerken, die weitgehend als Lehrwerke für seine Schüler, darüber hinaus auch als Studienwerke für ein größeres Publikum gedacht waren, schrieb Bach die großen Zyklen der Goldbergvariationen (1742) und des Wohltemperierten Klaviers II (1744). In Leipzig schuf sich Bach seinen Ruf als hervorragender Orgelvirtuose, Komponist, Kompositionslehrer und Orgelgutachter.

 
Thomaskirche
  Thomaskirche und Thomasschule um 1723
Die äußeren Bedingungen seiner Arbeit müssen trostlos gewesen sein. Die Thomasschule war seit langem verlottert, Geld fehlte, und der Rat der Stadt interessierte sich auch nicht sonderlich für die Zustände dort. Nicht nur die Größe der Räume in der Thomasschule, sondern auch die hygienischen Zustände waren katastrophal.
Wegen der mangelhaften Arbeitsbedingungen und der steten Beschränkungen der finanziellen und personellen Ausstattung der Kirchenmusik lag er ständig im Streit mit den Behörden der Stadt.
Schon Kuhnau hatte wegen des schlechten Zustandes des Chores Eingaben an den Rat gemacht, aber nie eine Antwort erhalten. Nicht anders erging es Bach, als er 1730 die Eingabe "Kurtzer, jedoch höchstnöthiger Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Musik; nebst einigem unvorgreiflichen Bedencken von dem Verfall derselben" einreichte.
Er mußte mit 55 Alumnaten, die durchaus nicht alle musikalisch waren und eine brauchbare Stimme hatten, die Musik in 4 Kirchen bestreiten. Im instrumentalen Bereich standen ihm nur 7 Musiker zur Verfügung, drei Bläser und vier Streicher, ("...von deren qualitäten und musicalischen Wißenschafften aber etwas nach der Wahrheit zu erwehnen, verbietet mir die Bescheidenheit..."), so dass er auch dort vor Schwierigkeiten stand.

Aber unter den Leipziger Studenten gab es tüchtige Musikanten. Seit über zwanzig Jahren bestand das von Telemann um 1702 gegründete Collegium musicum. Johann Kuhnau und seine Vorgänger hatten noch neben ihrem Kantorenamt das Amt des Universitätsmusikdirektors inne. Bach musste sich in seinem Anstellungsvertrag ausdrücklich verpflichten, kein Universitätsamt anzunehmen, und die Universität wartete auch nicht die Amtseinführung eines neuen Thomaskantors ab, sondern nutzte die kantorlose Zeit, um einen eigenen Universitätsmusikdirektor, den Organisten Görner, einzusetzen. Die Universität unterstand landesherrlicher Oberhoheit und wollte sich der Personalunion von Kantor und Universitätsmusikdirektor entledigen. Für Bach war das fatal, denn er war bei den bescheidenen Kräften, die ihm für seine Musik zur Verfügung standen, auf Verstärkung aus der Universität angewiesen.

Bach betrachtete das Recht am sogenannten "alten Gottesdienst" (Gottesdienst an hohen Feiertagen und bei Universitätsfeierlichkeiten) in der Universitätskirche als ihm zustehend (wie es auch bei seinen Vorgängern der Fall war) und nahm es wahr, ohne von der Universität bezahlt zu werden. Dabei hatte er in Professoren und Studenten seinen festen Zuhörerkreis. Als er zwei Jahre Geduld bewiesen hatte, sah er sich gezwungen, seine Rechte über eine Eingabe an den sächsischen König durchzusetzen, was ihm auch nach längerem Streit mit dem Concilium der Professoren gelang. Die Universität musste ihm sein Gehalt nachzahlen, und das "alte Amt" wurde ihm offiziell zugesprochen. Die Universität hatte eine Niederlage erlitten, und damit waren weitere Zwischenfälle vorprogrammiert.
Der schwerwiegendste war der Steit um die Trauerode auf die verstorbene Kurfürstin Christiane Eberhardine 1727. Diese war protestantisch geblieben, als August der Starke zum katholischen Glauben übergetreten war, um König von Polen werden zu können. Sie lebte danach getrennt vom König. Sowohl die Stadt als auch die Universität waren nach ihrem Tod in einer schwierigen politischen Situation. Sollten sie eine Trauerfeier veranstalten oder nicht? Ein vermögender adliger Student, Hans Carl von Kirchbach, rettete die Situation, indem er privat beim König die Genehmigung für eine Trauerfeier einholte. Er beauftragte Bach mit der Komposition der Trauerode. Die Universität wollte aber ihren Universitätsmusikdirektor Görner damit beauftragen. Daraus entbrannte ein Streit zwischen der Universität und dem Studenten Kirchbach, der schließlich durchsetzte, daß Bach die Trauerode schrieb. Den Text dazu hatte sich Kirchbach vom Professor Gottsched schreiben lassen. Bach erwarb sich allerdings keine Freunde, als er das Poem umarbeitete und in eine zehnsätzige Kantate verwandelte.
Bach hatte gegenüber der Universität mehrere Siege errungen: Er hatte sein Honorar und seine Ansprüche auf den "alten Gottesdienst" durchgesetzt. Er hatte sich die Trauerode nicht wegnehmen lassen, er hatte Gottscheds Text umgearbeitet und vor den Leipziger Honoratioren aufgeführt. In der Folge wollte die Universität mit ihm nichts mehr zu tun haben.

Zu den Studenten hatte er aber immer ein gutes Verhältnis, er genoss bei ihnen hohes künstlerisches Ansehen. 1729 übernahm er die Leitung des Collegium musicum, für das er zahlreiche Werke komponierte und mit dem er wöchentlich im Zimmermannischen Kaffeegarten spielte.
Im Auftrag der Universität, aber auch auf Wunsch einzelner Professoren komponierte er 20 Festmusiken, z.B. zur Amtseinführung des Professors Kortte im Dezember 1723 ein Dramma per musica, für Ludwig Friedrich Hudemann 1727 den Rätselkanon BWV 1074, für August Friedrich Müller zum Namenstag die Kantate "Der zufriedengestellte Äolus" BWV 205 und für Johann Florens Rivinus die Kantate "Die Freude reget sich" BWV 36b.

Als Geschenk zum Universitätsjubiläum 2009 will der Universitätschor die 20 Festmusiken, von denen 12 noch erhalten sind und acht verloren gegangene von zeitgenössischen Komponisten nachkomponiert werden sollen, auf CD einspielen. Leider kann Universitätsmusikdirektor Professor Wolfgang Unger dieses Vorhaben nicht mehr selbst umsetzen, da er im April 2004 verstarb.

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