Logo
Die Universitätsreform von 1830

Die Universität Leipzig behielt seit ihrer Gründung im Jahre 1409 nahezu unverändert über 400 Jahre ihre mittelalterliche Verfassung mit Nationen und Kollegien. Zwar gab es in den zurückliegenden Jahrhunderten Reformversuche, aber sie veränderten nicht die althergebrachten Strukturen. Weder die von Herzog Georg 1502 veranlassten kleinen Reformschritte angesichts der aus der neugegründeten Universität Wittenberg entstandenen Konkurrenzsituation führten zu einer grundsätzlichen Veränderung, noch die Reformen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Ende des 18. Jahrhunderts wuchs die Kritik an der anachronistischen Verfassung der Universität, die die Entwicklung der Wissenschaft behinderte und deren Finanzierbarkeit erschwerte. Bestrebungen zu einer Reform aus der Universität heraus stießen jedoch auf den Widerstand der Professoren "alter Stiftung", die um ihre Privilegien fürchteten.
Im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine Reform der Universität muss die Staatsreform in Sachsen gesehen werden, die die Schaffung eines straff zentralistischen Einheitsstaates und die Abschaffung traditioneller Rechte in altüberlieferten Institutionen zum Ziel hatte. In deren Ergebnis entstand schließlich die neue sächsische Verfassung vom 4. September 1831.
Als Zeitraum des Beginns der Universitätsreform kann das Jahr 1806 angenommen werden. Mit einem Reskript vom 19. März 1806 an die Universität wurden die Vorgaben der Staatsregierung für die Reform des "versteinerten Gebildes" mitgeteilt. In einem vorsichtig positiven Gutachten der Philosophischen Fakultät dazu wird festgestellt, dass die Nationenverfassung überholt sei. Diese habe zwar Vorteile im menschlichen Bereich, doch viele Mängel - die Unübersichtlichkeit der akademischen Fonds, die mittelalterliche Gerichtsbarkeit, das dringend zu modifizierende Berufungsverfahren der Professoren. Auch Fleiß und Sittlichkeit der Studenten seien verbesserungsbedürftig. Es sei alles zu tun, was dem Fortschritt der Wissenschaft dient. 1

Friedrich August
 
Friedrich August I.  
 
Die Kriegshandlungen von 1806/07, an denen Sachsen als Verbündeter Preußens teilnahm und besonders die Niederlage bei Jena/Auerstedt, in deren Folge Sachsen Teile seines Territoriums verlor und von napoleonischen Truppen besetzt wurde, führten zunächst zu einer Unterbrechung der Reformprojekte. Zwar wurde der sächsische Kurfürst Friedrich August III. zum König Friedrich August I. gekrönt und trat dem Rheinbund bei, war dadurch aber auch Teilnehmer am Russlandfeldzug an der Seite Napoleons mit allen Folgen der Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig.
Trotz der Kriegswirren gab es weiterführende Überlegungen zur Reform der Universität. Noch 1806 legte der Senior der Universität, der Philologe Gottfried Hermann, dem Dresdner Oberkonsistorium Reformpläne vor. Im September 1808 nahm eine "Commission zur Revision und Reformation der Leipziger Universität" unter Leitung des Präsidenten des Oberkonsistoriums ihre Tätigkeit auf. Ein bedeutender Schritt der Entkonfessionalisierung der Universität war die Begrenzung des Eids auf die Konkordienformel auf die Professoren der Theologischen Fakultät ab 1812.
Jedoch erst um 1818 setzten seitens der Staatsregierung erneut umfassende Anstrengungen zur Reformierung des Staates und der Universität ein.
Unmittelbarer Anlass für Veränderungen an der Universität waren die Karlsbader Beschlüsse von 1819, deren Ziel u.a. die Verstärkung der Staatsaufsicht wegen der "Umtriebe" an deutschen Universitäten war. Bis dahin hatte sich der sächsische Staat damit begnügt, eine "wohlwollend-lockere" Oberaufsicht über die Universität zu führen, die von der obersten staatlichen Kirchbehörde wahrgenommen wurde und die "überkommene Autonomie" nicht in Frage stellte. 2
Auf der Grundlage der Karlsbader Beschlüsse wurde 1820 ein außerordentlicher Beauftragter des Königs eingesetzt. Seine Aufgaben wurden in einer Instruktion vom 8. März 1820 festgelegt und in einem Reskript vom gleichen Tage der Universität mitgeteilt.
Parallel zum Einsatz des Bevollmächtigten erfolgte eine Verbesserung der finanziellen Förderung der Universität. 1821 wurde ein jährlicher Zuschuss von 2000 Reichstalern gewährt, der 1825 auf 4000 Reichstaler erhöht wurde. Die Universitätsbibliothek erhielt jährlich 400 Reichstaler. Darin zeigt sich die vor der Universität stehende Alternative: Ausbau der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit gegen den Verlust der akademischen Freiheit.
In den folgenden Jahren stand die Herstellung der Ordnung in den finanziellen Verhältnissen der Universität im Mittelpunkt. Die Kollegienverfassung verhinderte zunächst die Aufstellung eines einheitlichen Haushaltplanes. Am 7. November 1825 erfolgte die Bildung des Universitäts-Rentamts, jedoch erst Ende 1829 konnte eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben aller Vermögensfonds vorgelegt werden.
Ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Reform war die Gründung eines staatlichen Universitätsgerichts, das am 5. August 1829 eingesetzt wurde, um die bisher vom Concilium perpetuum wahrgenommene Gerichtsbarkeit gegenüber den Universitäts-angehörigen zu übernehmen.
Mit Reskript vom 5. März 1830 wurde durch die Staatsregierung das Programm der Universitätsreform mit diesem Inhalt verkündet:

Verfechter der Reform war der 1809 aus Königsberg nach Leipzig gekommene Philosoph Wilhelm Traugott Krug. Er war 1813 und erneut 1830 Rektor und Konrad Krause bezeichnet ihn als "Reformrektor einer gewaltigen Umbruchzeit". 3
Am 27. März 1830 erfolgte die Bildung eines Akademischen Verwaltungsausschusses, dem unter Vorsitz des Rektors die vier Dekane der Fakultäten sowie vier vom staatlichen Kirchenrat ernannte Mitglieder des Akademischen Senats angehörten.
Die Begeisterung unter den Professoren über die vom Staat verfügte Reform hielt sich jedoch in Grenzen. Die Unabhängigkeit der Universität wurde als "natürlichstes und unschätzbarstes" Gut betrachtet, und jede Einmischung war unerwünscht.
In einer Petition vom 9. März 1830 an den König stand die "Bekümmernis" über den Bevollmächtigten im Mittelpunkt, dessen Einsatz als Bevormundung empfunden wurde. In einer weiteren Petition vom 28. Oktober 1830 wurde die Entmündigung der Universität beklagt.
Die Tatsache, dass der Präsident des Vereinigten Kriminal- und Polizeiamtes zu Leipzig, der Oberhofrichter Karl Heinrich Konstantin Freiherr von Ende als außerordentlicher Bevollmächtigter des Königs bei der Universität eingesetzt wurde, erschien als Ausdruck des Abbaus der akademischen Autonomie. 4
Erst am 22. November 1831 erfolgte eine halbherzige Akzeptierung der Reform, die vom Staat angeordnet wurde, ohne die Universität zu hören.
Am 28. April 1832 wandte sich der Senat an das mit der Staatsreform neu geschaffene Kultusministerium mit Forderungen zur finanziellen Unterstützung. Darin wurde die Bitte ausgesprochen, der Leipziger Universität ähnliche Summen zuzuweisen, wie sie die Universitäten in Berlin und München erhielten.
1832 wurde das Gesamtvermögen der Universität unter Staatsverwaltung gestellt, blieb jedoch im Sinne einer Stiftung Eigentum der Universität. Ab September 1834 schließlich erhielt die Universität einen festen Etat. Damit übernahm der sächsische Staat auch die Zahlung der Professorengehälter einschließlich der Ablösung von Naturaldeputaten durch Geldzahlungen. 5
Auch die Maßnahmen der Staatsreform hatten z.T. gravierende Auswirkungen auf die Universität. Besonders die Allgemeine Städteordnung vom 2. Februar 1832 rief Protest und Widerstand hervor. Mehr als 400 Jahre hatte die Universität als autonome Institution innerhalb der Stadt mit einer Vielzahl von Privilegien ohne Verpflichtungen gegenüber der Stadt und Sonderrechten auch für ihre Angehörigen wie Steuerfreiheit, Schutz vor städtischer Polizeigewalt und Justiz existiert. Die Abschaffung dieser jahrhundertealten Besitzstände ohne adäquate Berücksichtigung der Universität in der neuen Städteordnung wurde - häufig verbunden mit der Arroganz städtischer Beamter - als tiefe Demütigung empfunden. 6
Mit der Universitätsreform von 1830 im Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses erfolgte der Umbau der mittelalterlichen Kollegien-Universität zur Staatsuniversität. Sie stand im Kontext mit der Reformierung des sächsischen Staates zur konstitutionellen Monarchie und reihte sich ein in den größeren Zusammenhang einer über Jahrhunderte gehenden Entwicklung der "Verstaatlichung der Gesellschaft". 7
Der Übergang von der Universitas scholastica zur Universitas litterarum war zugleich wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Universität in den nachfolgenden Jahrzehnten mit ihrer Anziehungskraft für bedeutende Gelehrte.

1 Vgl. Blaschke, K.: Die Universität Leipzig im Wandel vom Ancien Régime zum bürgerlichen Staat.
   In: Czok, K. (Herausg.): Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin 1987
2 Ebenda
3 Krause, K.: Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart., S. 107. Leipzig 2003
4 Vgl. Blaschke, K.: Die Universität Leipzig ...
5 Ebenda
6 Ebenda
7 Ebenda

 Zur Zeittafel      Seitenanfang      Diese Seite drucken