Logo
Die Juristenfakultät

Die Juristenfakultät der Universität Leipzig ist eine der ältesten im deutschsprachigen Raum, und sie wurde im 19. Jahrhundert neben Berlin eine der bedeutendsten in Deutschland. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts trat die Tätigkeit als Spruchkollegium mehr und mehr zurück und endete mit der Gründung des Reichsgerichts im Jahre 1879. Das bedeutete den Wandel zu einer modernen staatlichen Bildungs- und Forschungseinrichtung. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erreichte die Fakultät den Höhepunkt ihres wissenschaftlichen Ansehens, wozu hervorragende, international anerkannte Gelehrte beitrugen. Genannt seien hier aus der Vielzahl berühmter Namen der liberale Zivilprozessrechtler Adolf Wach (1843 - 1926), der Strafrechtler Karl Binding (1841 - 1920), der Kirchenrechtler Emil Friedberg (1837 - 1910) und der Verwaltungsrechtler Otto Mayer (1846 - 1924), die auch an der Ausarbeitung und Kommentierung von Rechtsnormen beteiligt waren. Den Studenten konnten Kenntnisse darüber "aus erster Hand" vermittelt werden.
1894 konnte die Fakultät das auf ihrem alten Grundstück zwischen Petersstraße und Schlossgasse errichtete neue Collegium iuridicum beziehen.
Diese Entwicklung war die Grundlage der Anziehungskraft für Studenten über Sachsen hinaus. Besonders mit der Reichsgründung 1871 stieg die Anzahl von durchschnittlich 300 bis 500 in den Jahrzehnten seit 1830 auf mehr als 1000 an. Nach einem vorübergehenden Absinken auf 700 in den 80er Jahren wurde ab 1890 wieder eine Anzahl von 1000 und mehr Studenten erreicht. Der Höhepunkt lag im Jahre 1902 mit 1226 Jurastudenten 1. Der Anteil an der Gesamtzahl der Leipziger Studenten betrug im Zeitraum 1904 - 1909 ca. 25 % und war damit der zweithöchste nach der Philosophischen Fakultät 2. Von der Zahl der studierenden Juristen in Deutschland waren rund 10 - 11 % in Leipzig immatrikuliert, in den siebziger Jahren waren es vorübergehend sogar 20 % und damit mehr als in Berlin 3.


(aus Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten 100 Jahren, Leipzig 1909; S. 22)

Der Übergang von der Landesuniversität zur gesamtdeutschen Universität mit internationalem Ruf wird auch in der Herkunft der Studenten der Juristenfakultät nach Heimatländern deutlich. Der Anteil von Nichtsachsen stieg von weniger als 25 % 1839/44 auf mehr als 30 % Anfang des 20. Jahrhunderts, in den 70er Jahren waren es 60 - 70 % 4. 1904/09 kamen 11,3 % der Studenten aus dem europäischen Ausland und 0,4 % aus anderen Erdteilen, das war ein deutlicher Anstieg gegenüber 1859/63 (5,7 % und 0,2 %) 5. Juristen aus Leipzig setzten ihre Karriere an anderen europäischen Universitäten fort, viele wurden auf Lehrstühle im In- und Ausland berufen. In der Festschrift zum 500jährigen Bestehen der Universität Leipzig werden dazu eine Reihe von Beispielen genannt 6.
Die höhere Zahl von Studenten und deren veränderte Zusammensetzung nach Herkunftsländern war mit einer Umstellung der Lehrmethoden verbunden. Das kommt u.a. in der Gründung von Seminaren und der Einführung von Praktika zum Ausdruck. Im Zeitraum von 1873 bis 1876 entstanden das Verwaltungsrechtliche Praktikum, das Kriminalistische Seminar und das Zivilprozessrechtliche Seminar. Das Collegium iuiridicum als Juristisches Seminar wurde in 6 Abteilungen gegliedert. Das entsprach dem Charakter der Alma mater Lipsiensis als Arbeitsuniversität 7.
Ebenso bedeutsam war auch die Berufung von Professoren ausschließlich nach ihrer wissenschaftlichen Qualifikation und ohne Berücksichtigung einer sächsischen Herkunft. Von den 9 Ordinarien im Jahre 1909 (Emil Friedberg, Karl Binding, Adolf Wach, Rudolph Sohm, Eduard Hölder, Emil Strohal, Ludwig Mitteis, Otto Mayer, Ernst Jäger) stammte nicht einer aus Sachsen, nur zwei hatten zeitweise in Leipzig studiert, keiner wurde hier promoviert und ebenso hatte sich keiner hier habilitiert. Die Berufung nach Leipzig erfolgte, nachdem sie bereits Ordinarien an einer anderen Universität gewesen waren 8 .
Das hohe Ansehen der Leipziger Juristenfakultät und der Ruf der hier lehrenden und forschenden Gelehrten hat zweifellos dazu beigetragen, dass sich Leipzig bei der Entscheidung über den Sitz des Reichsgerichts gegenüber Berlin durchsetzen konnte. Andererseits hat die Tätigkeit des obersten deutschen Gerichts in der Stadt und dessen räumliche Nähe zur Fakultät anregend zurückgewirkt.

Quellen:
Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, Band 2; S. 101 - 112
Czok, K.: Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung. 1871 bis 1917
in Rathmann, L. (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984 ; S. 214 - 215
Zur Geschichte der Juristenfakultät http://www.uni-leipzig.de/~jura/fakultaet/geschichte.php (eingesehen am 09.05.06)

1 Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten 100 Jahren, Leipzig 1909; S. 22
2 Ebenda S. 30
3 Ebenda S. 23
4 Ebenda S. 38
5 Ebenda S. 198
6 Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, Band 2; S. 110
7 Stieda, W.: Die Universität Leipzig in ihrem 1000. Semester, Leipzig 1909; S. 87/88
8 Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, Band 2; S. 107/108

 Zur Zeittafel      Seitenanfang      Diese Seite drucken