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Leipzigs Entwicklung zur Großstadt

1831 wurde den Bürgern des Königreichs Sachsen die Freizügigkeit gesetzlich erlaubt, wodurch ein gewaltiger Zustrom vom Land in die Stadt einsetzte. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt, als 1862 die Gewerbefreiheit verkündet wurde.
1830 lebten in Leipzig nur 41.000 Einwohner. Bei der Gründung des Deutschen Reiches 1871 hatte Leipzig bereits 107.000 Einwohner. Obwohl die Einwohnerzahl stark stieg, blieb das städtische Territorium weitgehend unverändert. Um die Zuzügler unterzubringen, wurden die barocken Gartenanlagen, für die Leipzig berühmt war, fast vollständig überbaut. Leipzig verlor damit seinen Ruf als Gartenstadt.

Für den wirtschaftlichen Aufschwung hatte vorrangig der Bau der Eisenbahn Bedeutung. Unter dem Einfluß des württembergischen Nationalökonomen Friedrich List fanden sich Industrielle, Bankiers und Politiker zum Leipzig-Dresdner-Eisenbahn-Comité zusammen, das den Bau der ersten deutschen Ferneisenbahn zwischen Leipzig und Dresden begann. 1839 war die Gesamtstrecke fertig. Bald verband ein Schienennetz die Stadt Leipzig mit allen bedeutenden Märkten der nahen und ferneren Umgebung. Leipzig war zur "Herzkammer des deutschen Binnenverkehrs, des Buchhandels und der deutschen Fabrikindustrie" (Zitat Friedrich List) geworden.
Entlang der Schienenwege waren Unternehmen ansässig geworden. Neben dem traditionellen grafischen Gewerbe gewannen Metallverarbeitung und Maschinenbau, Textilindustrie, Baugewerbe, Chemieindustrie und elektrotechnisch - feinmechanische Fertigung ständig an Bedeutung. Sie bezogen Standorte am Rande der Stadt und in den Vororten. Das Zunfthandwerk war den Anforderungen der technischen Revolution weder organisatorisch noch personell gewachsen. Handwerk und Kleingewerbe übernahmen den Bereich der Reparatur und Dienstleistung. 1871 gab es 4.551 Betriebe, davon 58 mit 50 bis 200 Beschäftigten. 1895 waren es schon 18.156 Betriebe, davon 50 mit 200 bis 1000 Beschäftigten, und bis 1914 wurden nochmals mehr als 3.000 neue Betriebe gegründet. Leipzig war damit einer der bedeutendsten Industriestandorte Deutschlands geworden.

Mit der Ausweitung der industriellen Großproduktion wandelte auch die Messe ihr Gesicht. Seit Mitte des 19. Jh. traten immer mehr Fabrikanten statt Kaufleute als Aussteller auf, statt Handelsobjekten wurden verstärkt Warenmuster präsentiert. 1895 fand in Leipzig die erste Mustermesse der Welt statt. Die alten Messehöfe und Verkaufsbuden wichen modernen Zweckbauten. 1903 eröffnete das "Städtische Kaufhaus" als erstes Mustermessehaus der Welt, dem bis 1917 noch dreißig weitere folgten.
Durch verstärkten Zuzug von Arbeitskräften hatten die stadtnahen Dörfer ihren ländlichen Charakter weitgehend verloren. Am 1. Januar 1889 begann der Eingliederungsprozeß der Umlandgemeinden. Bis 1916 verfünffachte sich so das Territorium der Stadt Leipzig, so daß Leipzig nun auch flächenmäßig eine Großstadt wurde. Die Einwohnerzahl stieg bis 1918 auf über 600.000.
Durch die Entwicklung der Großindustrie, des Handels und der Messe mußte im Stadtzentrum immer mehr Wohnraum der geschäftlichen Nutzung weichen. 1895 hatte die Innenstadt noch über 25.000 Bewohner, bis 1910 waren es nur noch die Hälfte. Im Stadtzentrum bestimmten Bank-, Büro- und Versicherungsbauten, Messe- und Warenhäuser sowie Gebäude der Stadtverwaltung das Bild. Außerhalb des Zentrums entstanden einerseits großzügig angelegte Villenviertel und Viertel mit großbürgerlichen Wohnhausbauten, andererseits besonders im Osten und Westen der Stadt Ballungsgebiete der Arbeiter mit engen Mietskasernen.
1872 begann mit der Einrichtung der Pferdebahn ein großstädtischer Linienverkehr, der ab 1895 von der elektrischen Straßenbahn übernommen wurde.

Der rasche industrielle Aufschwung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. hatte an der Universität den Ausbau der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre gefördert. Damit setzte auch eine lebhafte Bautätigkeit ein, zahlreiche Instituts- und Klinikbauten entstanden, an denen weltberühmte Gelehrte wie der Mathematiker Felix Klein, der Neurologe Adolf Strümpell, der Medizinhistoriker Karl Sudhoff, der Neurologe und Psychiater Paul Flechsig, der Philologe Justus Hermann Lipsius, der Geograph Friedrich Ratzel, der Chemiker Wilhelm Ostwald, der Historiker Karl Lamprecht und der Psychologe Wilhelm Wundt wirkten. Diese und viele andere vermehrten den internationalen Ruf der Leipziger Universität. Sie gehörte in den 70er und 80er Jahren bis über die Jahrhundertwende zu den meist besuchten Universitäten Deutschlands, und die Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges werden als die glanzvollsten der Leipziger Universität angesehen.

In der Zeit des Aufstiegs zur industrialisierten Großstadt erlangte Leipzig Weltruf als Musikstadt, wozu vor allem das Gewandhausorchester beitrug, das von Berühmtheiten wie Felix Mendelssohn Bartholdy (1835 bis 1847) und Arthur Nikisch (1895 bis 1922) geleitet wurde.
Ebenfalls durch Mendelssohn wurde 1843 das Konservatorium als erste Musikhochschule Deutschlands gegründet.

Leipzig entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. auch zum Zentrum der Frauen- und der Arbeiterbewegung. Schon 1863 hatte der Sozialist Ferdinand Lassalle den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" gegründet, der 1875 als Vorläufer der SPD in der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) aufging. Leipzig war damit zu einem Vorreiter der sozialistischen Bewegung geworden.
1865 wurde der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet, der mit den Namen von Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt und Henriette Goldschmidt verbunden ist.
Karl Liebknecht, Rechtsanwalt und Führer des revolutionären Spartakusbundes, 1919 erschossen, wurde 1871 hier geboren. Sein Vater Wilhelm Liebknecht war eng befreundet mit August Bebel, der seit 1860 in Leipzig wohnte.
Bedeutende Führer der Arbeiterbewegung hatten in Leipzig ihre Bildungs- und Wirkungsstätte, z. B. Franz Mehring und Rosa Luxemburg, die Redakteure der 1894 als Organ der Sozialdemokratischen Partei gegründeten "Leipziger Volkszeitung" waren. Auch Clara Zetkin wirkte einige Jahre in Leipzig.

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