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Die Novemberrevolution in Leipzig und deren Auswirkungen auf die Universität

Im vierten Kriegsjahr nahmen die Belastungen der Universität zu. Von den im Wintersemester 1917/18 eingeschriebenen 5.315 Studenten waren tatsächlich 1.375 in Leipzig 1, darunter viele Kriegsversehrte und ein überdurchschnittlicher Anteil Frauen. Die Mehrzahl der männlichen Studenten und ein Teil der Lehrkräfte befanden sich "im Felde". Die Studierenden und Dozenten in Leipzig litten wie die Bevölkerung unter der zunehmenden Hungersnot. Die Folgen der Kriegswirtschaft verschärften die materiellen Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung des Studienbetriebs und der Forschung, die Universitätskliniken waren zunehmend mit der Versorgung von Verwundeten überfordert.

 
Scheidemann ruft die Republik aus  
Die Forderung nach Frieden führte insbesondere in der Arbeiterschaft - auch unter dem Einfluss der Ereignisse in Russland - zu Streiks und revolutionären Aktionen. Im Verlaufe des Jahres 1917 entstanden in vielen Orten, auch in Leipzig, Arbeiterräte. Nach dem Matrosenaufstand Anfang November 1918 in Kiel, einem Generalstreik und Massenprotesten, der Flucht des Kaisers in das niederländische Exil rief Scheidemann am 9. November in Berlin die Republik aus. Der sächsische König dankte am 13. November ab und in Dresden übernahm eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung die Macht. In Leipzig zog der von der USPD dominierte Arbeiter- und Soldatenrat ins Rathaus ein.
An der Universität bestand ein distanziertes Verhältnis zu dieser Entwicklung. Die neue republikanische Ordnung wurde zwar akzeptiert, aber die von den besionders in Leipzig starken radikalen linken Kräften erhobene Forderung nach Übergang zum Sozialismus wurde abgelehnt. Die große Mehrheit der Dozenten und Studenten gehörte nach ihrer Herkunft zu den bügerlichen Schichten und vertrat konsevative, teilweise noch monarchisch geprägte Anschauungen. Diese Mehrheit wurde durch die aus dem Kriegsdienst zuückkehrenden Studenten verstärkt, darunter viele Offiziere und Unteroffiziere. Nur eine verschwindende Minderheit von Studenten gehörte sozialistischen Gruppierungen an und nur wenige Dozenten vertraten liberale Ideen. So kam es während der ganzen Periode der Revolution zu Kontroversen zwischen Leitung der Universität und Studemtenvertretung einerseits und dem Arbeiter- und Soldatenrat andererseits.
Am 8. November verschafften sich bewaffnete Soldaten Zugang zur Wandelhalle des Augusteums, nachdem bekannt geworden war, dass ein Student in Offiziersuniform am Kolleg teilnahm. Er weigerte sich, seinen Säbel abzugeben und floh. Daraufhin verließen die Studenten zu dessen Unterstützung die Vorlesungen.2
Charakteristisch für die Situation war der sog. "Fahnenstreit". Ein Erlass des Arbeiter- und Soldatenrates vom 22.11. forderte die Hissung von roten Fahnen auf allen öffentlichem Gebäuden in Leipzig. Rektor Hölder, zunächst unschlüssig, veranlasste nach Rückfrage am 26.11. das Aufziehen der Fahne auf dem Augusteum. Das rief den Protest von Studenten und Professoren hervor und der Senat wurde aufgefordert, die Fahne entfernen zu lassen. Als das nicht geschah, holten Studenten am 28.11. unter Berufung auf die akademische Freiheit die Fahne herunter. Stattdessen wurde die Universitätsfahne aufgezogen. Der Arbeiter- und Soldatenrat setzte jedoch nochmals das Hissen einer roten Fahne durch. Eine überwiegende Mehrheit Studenten verlangte in einer Versammlung erneut das Entfernen der Fahne. Die Lage drohte zu eskalieren, als bewaffnete Soldaten den Vorsitzenden und weitere Mitglieder das studentiaschen Vertretungsausschusses vorübergehend festnahmen. Die Studentenschaft sprach Rektor Hölder das Misstrauen aus und auch die Dozentenschaft gab ihm Mitschuld an der entstandenen Lage. Am 30.11. erklärte Hölder seinen Rücktritt und Prof. Rudolf Kittel übernahm die Amtsgeschäfte des Rektors.3
Die Kontroversen zwischen der Universität und dem Arbeiter- und Soldatenrat mit gegenseitigen Schuldzuweisungen setzten sich auch in den folgenden Monaten fort. Sie beeinflussten die Meinungsbildung im Vorfeld der Wahlen zur Nationalversammlung (19.01.1919) und zum sächsischen Landtag (02.02.1919). Der Senat berief sich dabei stets auf die politische Neutralität der Wissenschaft und die akademische Freiheit. Trotzdem war die Universität ein Zentrum des bürgelich-konservativen Lagers. Da der Arbeiter- und Soldartenrat nicht bereit war, bürgerliche Vertreter aufzunehmen, wurde am 17.11.1918 in Leipzig der Bürgerausschuss gegründet. Dessen Vorsitzender war der Universitätsprofessor Walter Goetz. Bei den Wahlen gab es in Leipzig eine linke Mehrheit durch USPD und KPD von ca. 60%. In Dresden und Berlin entstanden Regierungen unter SPD-Führung. Das verschärfte den Konflikt mit dem Arbeiter- und Soldatenrat, der in Protestaktionen von Studenten und zeitweiligen Schließungen der Universität seinen Ausdruck fand.
Mit der Besetzuung Leipzigs durch das Freikorps unter General Maercker am 11. Mai 1919 fanden die revolutionären Aktionen ihr Ende.

Quellen
Schubert, A.: Die Universität Leipzig und die deutsche Revolution von 1918/19;  in v.Hehl, U. (Hrsg.): Sachsens Landesunuiversität in Monarchie, Republik und Diktatur, Leipzig 2005, S.171 - 191
Arndt, H.: Die Universität von 1917 bis 1933 - Novenberrevolition und Weimarer Republik; in Rathmann, L. (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis  Geschichte der Karl-Marx-Universtät Leipzig, Leipzig 1984, S.229-232
Krause, K.: Alma mater Lipsiensis  Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart, Leipzig 2003, S. 243-247
Kittel, R.: Die Universität Leipzig im Jahr der Revolution 1918/19, Stuttgart 1930
Goetz, W.: Historiker in meiner Zeit, Köln/Graz 1957, S. 55-57 und

Fußnoten
1 Arndt, H.: Die Universität von 1917 bis 1933 - Novenberrevolition und Weimarer Republik;
   in Rathmann, L. (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis  Geschichte der Karl-Marx-Universtät Leipzig, Leipzig 1984, S.229
2 vgl. ebenda S. 229/230 und Kittel, R.: Die Universität Leipzig im Jahr der Revolution 1918/19, S. 6/7
3 vgl. die ausführliche Dartstellung in Schubert, A.: Die Universität Leipzig und die deutsche Revolution von 1918/19, S. 179-183

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