Die Entwicklung der Leipziger Universität zur Spitzenuniversität
Der Reichtum Sachsens infolge fortgeschrittener Industrialisierung sowie die wachsende Stellung Leipzigs als Buch-, Handels- und Kulturstadt wirkte sich fördernd auf die Entwicklung der Alma mater Lipsiensis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus.
Die Universität wurde immer mehr zu einer "gesamtdeutschen" Bildungsstätte. Das hohe Niveau der Ausbildung sowie das aufgeschlossene Umfeld der Stadt zogen die Studierenden aus allen Teilen Deutschlands wie auch aus dem Ausland an. Die Studentenzahlen in den vier Fakultäten wuchsen sprunghaft, wie die folgende Übersicht nach Eulenburg beweist.
aus Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren, Leipzig 1909; nach S. 30 (durch Anklicken vergrößern) |
Nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der Studentenzahlen war auch das stets großzügige Konviktwesen an der Universität sowie die Vergabe von Stipendien, so dass auch sozial Schwächere hier studieren konnten. Vom Charakter her war die Leipziger Universität somit eine bürgerliche Bildungsstätte, weitgehend frei von aristokratischem Elitebewusstsein.
In der Methodik hatte die Universitätsreform von 1830 im Sinne des Humboldtschen Geistes wesentliche Impulse für eine Wandlung erzeugt. Die passive und kritiklose Vermittlung und Übernahme der traditionellen Lehrinhalte an der alten "universitas scholastica" wurde schrittweise abgelöst durch praxis- und forschungsbezogenes Zusammenwirken von Professoren und Studenten. Durch die Einrichtung von Laboratorien, Seminaren und Instituten (s. auch Seminare, Denkumbrüche, Naturwissenschaftliche Institute ) waren neue Wissensvermittlungen möglich. Die Studenten selbst beteiligten sich an Forschungen, um die Grenzen zwischen Wissen und Nichtwissen zu verschieben. Die Universität Leipzig wandelte sich in eine "Arbeitsuniversität" um und entwickelte sich vor allem nach der Reichsgründung 1871 zu einer akademischen Bildungsstätte von Weltgeltung.
In den Naturwissenschaften setzte auch durch die Gewinnung immer mehr bedeutender Gelehrter eine bemerkenswerte Entwicklung ein. Der Aufschwung von Physik und Chemie wird u.a. repräsentiert von Erdmann über Fechner, Weber und Wiedemann bis Wilhelm Ostwald. Aus der Mathematik sind die bekanntesten Vertreter dieser Zeit Moritz Wilhelm Drobisch und Felix Klein. Daneben erlebten auch Disziplinen wie Astronomie, Botanik, Zoologie sowie Geowissenschaften Blütezeiten an der Universität.
Die Medizinische Fakultät wurde eine der führenden Einrichtungen in Deutschland, u.a. durch solche Gelehrte wie Wunderlich, Ludwig, Thiersch, Wundt und Flechsig.
Leipzigs großer Ruf ist vor allem durch die Geisteswissenschaften begründet worden. Die Einrichtung des "Historischen Seminars" im Jahre 1877 war Ausgangspunkt für einen Aufschwung in den Geschichtswissenschaften, der mit dem Wirken solcher Persönlichkeiten wie Zarncke, Wachsmuth, Biedermann, Wuttke, Treitschke oder Mommsen aufs Engste verbunden ist.
In der Philologie und Pädagogik konnte die Spitzenstellung behauptet werden. Die Bildung von Seminaren für Germanistik (1873), Anglistik (1891) und Romanistik (1891) trug mit dazu bei, dass Leipzig ein international angesehenes Sprachforschungszentrum wurde. Die Gründung des "Pädagogischen Seminars" 1869 sowie die Einrichtung eines "Wissenschaftlich-Pädagogischen Praktikums" 1872 sind Zeugnisse der Begründung einer wissenschaftlichen Pädagogik, der "Schule der Herbartianer", die in Leipzig zeitweise mehr als 800 Mitglieder hatte.
Noch 1914, kurz vor Kriegsausbruch, gelang es, eine Stiftung zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten einzurichten. Mit den Mitteln der "König-Friedrich-August Stiftung für wissenschaftliche Forschung" entstanden 12 Forschungsinstitute für Geisteswissenschaften, die aber auf Grund der politischen Entwicklung ihre Wirksamkeit nicht mehr voll entfalten konnten.
Diese nur bruchstückhaften Aufzählungen unterstreichen die Entwicklung der Universität Leipzig zu einer führenden Ausbildungsstätte sowohl in quantitativer als auch in vielen Disziplinen qualitativer Hinsicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Quellen:
Czok, K.: Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung, 1871 bis 1917
in Rathmann, L. (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis Geschichte der Karl-Marx-Universtät Leipzig, Leipzig 1984; S.193 - 219
Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig im den letzten hundert Jahren, Leipzig 1909; S. 14 - 39 und 93 - 140
Stieda, W.: Die Universität Leipzig in ihrem 1000. Semester, Leipzig 1909; S. 9 - 11 und 21 - 169
Krause, K.: Alma mater Lipsiensis Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart, Leipzig 2003; S. 111 - 215