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Die Medizinische Fakultät

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig einen beachtlichen Aufschwung und entwickelte sich zu einer führenden wissenschaftlichen Arbeits- und Lehrstätte der Welt. Entscheidend dafür war der Übergang von naturphilosophischen Deutungen der Lebensvorgänge zu einer naturwissenschaftlich orientierten Richtung der Medizin. Einer der ersten Vertreter der neuen experimentell orientierten medizinischen Herangehensweise war der Anatom Ernst Heinrich Weber, der 1821 Ordinarius für Anatomie und Physiologie geworden war. Seine Hauptleistung bestand in der Begründung der physikalisch orientierten Physiologie als Wissenschaftsschule.
Der Aufschwung der Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte auch zur Weiterentwicklung der medizinischen Wissenschaften, z.B. zur Entstehung der Röntgenologie und der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Bakteriologie und damit auch der Histologie, Pathohistologie und klinischen Labordiagnostik.
Ende des 19. Jahrhunderts war die Medizin disziplinär aufgeteilt, was in der Etablierung neuer Fachgebiete und dem Bau von modern eingerichteten Laboratorien, Instituten und Kliniken Ausdruck fand.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen bedeutende Ärzte und Wissenschaftler als Hochschullehrer nach Leipzig.
Die Studentenzahlen erhöhten sich von etwa 200 in der Zeit von 1840 bis 1870 nach der Reichsgründung in wenigen Jahren auf das Doppelte und erreichten ihren Höhepunkt um 1890 mit über 900. Danach sank die Studentenzahl wieder, bis sie 1905 mit 400 ein Minimum erreichte, um dann wieder leicht anzusteigen.

(aus Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten 100 Jahren, Leipzig 1909; S. 24)


In Leipzig nahmen die theoretisch-medizinischen Fachgebiete wie Anatomie, Physiologie, Pathologie, Pharmakologie, Geschichte der Medizin und Hygiene einen besonderen Aufschwung.

Physiologie: Von besonderer Bedeutung war der Physiologe Carl Ludwig, der 1865 Nachfolger von Ernst Heinrich Weber wurde.

Pathologie und Gerichtsmedizin: Leipzig war die erste Universität, die einen Lehrstuhl für Allgemeine und Pathologische Anatomie einrichtete. Lehrstuhlinhaber war ab 1869 Ernst Leberecht Wagner. Er setzte sich für die Errichtung eines eigenen Institutes für Pathologie ein, das 1871 fertiggestellt war. Julius Cohnheim, ein Virchow - Schüler, wurde 1878 auf den Lehrstuhl für Pathologie als Nachfolger von Ernst Leberecht Wagner berufen. 1884 starb Cohnheim, und sein Nachfolger wurde Felix Victor Birch-Hirschfeld. 1900 kam Felix Marchand auf den Lehrstuhl für Pathologie, nach dessen Vorstellungen der 1906 eingeweihte Neubau des Pathologischen Instituts realisiert wurde.
1900 wurde die Gerichtsmedizin zum selbständigen Institut unter Leitung von Richard Kockel. Er hatte bereits 1901 erreicht, dass die Gerichtsmedizin für alle Medizinstudenten zum Pflichtfach wurde.

Anatomie: 1872 wurde Wilhelm His auf den Lehrstuhl für Anatomie berufen. Unter seiner Leitung entstand das neue Anatomische Institut.

Pharmakologie: Justus Radius vertrat von 1848 bis 1859 die Pharmakologie und Allgemeine Therapie in Leipzig. 1884 wurde der Lehrstuhl für Pharmakologie eingerichtet, auf den Rudolf Boehm berufen wurde. Unter seiner Leitung entstand ein Pharmakologisches Institut mit einem ausgezeichneten Ruf.

Institut für Geschichte der Medizin: Nach dem Tod der Witwe des Wiener Medizinalhistorikers Theodor Puschmann kam der Nachlass des Ehepaares an die Leipziger Universität. Die Puschmann-Stiftung ermöglichte es, Karl Sudhoff 1905 als etatmäßigen außerordentlichen Professor für Geschichte der Medizin nach Leipzig zu holen.

Hygiene: 1878 erfolgte die Gründung des Lehrstuhls für Hygiene. Franz Hofmann war der erste ordentliche Professor der "Experimentellen Hygiene".


Auch die klinischen Bereiche der Medizinischen Fakultät genossen zum Ende des 19. Jahrhunderts national und international hohes Ansehen.

 
  Heinrich Curschmann, Wilhelm His, Carl Thiersch  (vorn
von links nach rechts), Christian Wilhelm Braune (hinten
links), Franz Hofmann (hinten rechts) im Jahr 1890
Innere Medizin: Auf dem Gebiet der Inneren Medizin begann mit der Berufung von Johann von Oppolzer 1848 eine fruchtbare Zeit für die klinischen Fachrichtungen. Allerdings ging er bald nach Wien, und sein Nachfolger wurde 1850 Carl August Wunderlich. 1888 kam Heinrich Curschmann auf den Lehrstuhl für Innere Medizin und wurde Direktor der Medizinischen Klinik. Er betrieb mit seinen Assistenten grundlegende wissenschaftliche Forschung, so dass von einer "Leipziger Schule" der Inneren Medizin gesprochen wurde. 1910 kam Adolf von Strümpell als Professor für Pathologie und Therapie und Direktor der Medizinischen Klinik nach Leipzig zurück.

Chirurgie: Große Bedeutung für den Aufschwung der Leipziger Medizinischen Fakultät hatte das Wirken von Carl Friedrich Thiersch, einem der berühmtesten Chirurgen des 19. Jahrhunderts. Zusammen mit Carl Wunderlich erwirkte er den Bau eines neuen Krankenhauses, den Beginn des "Medizinischen Viertels" an der heutigen Liebigstraße. Nachfolger von Thiersch wurde 1895 Friedrich Trendelenburg. Unter seiner Leitung wurde 1900 die Chirurgische Klinik und Poliklinik in der Liebigstraße gebaut, die 1908 einen Erweiterungsbau für die Röntgendiagnostik erhielt.

Frauenheilkunde: 1856 kam Karl Sigismund Franz Credé als Direktor an die Universitätsfrauenklinik. Ab 1887 stand die Universitätsfrauenklinik dreißig Jahre lang unter der Leitung Paul Zweifels. Die Klinik erwarb sich in dieser Zeit einen sehr guten Ruf. Zweifel bildete eine Reihe führender Gynäkologen heran. Er galt zur Jahrhundertwende als der hervorragendste gynäkologische Operateur in Deutschland.

Orthopädie: Die erste orthopädische Universitätsklinik Deutschlands entstand in Leipzig 1876 nach Übernahme einer bis dahin privat geführten Anstalt. Dessen Leiter, Carl Hermann Schildbach, der erste deutsche Arzt, der sich für Orthopädie habilitiert hatte, führte die Klinik weiter als Universitätsklinik. Aber erst 1922 wurde das erste orthopädische Ordinariat eingerichtet.

Hirnforschung: Die Hirnforschung, die sich auf leistungsfähigere Mikroskope und verbesserte Schnitt- und Färbetechnik stützen konnte, erfuhr ab 1880 in Leipzig unter Wilhelm Erb einen gewaltigen Aufschwung. Erb wurde 1880 Direktor der ambulanten Medizinischen Poliklinik und ordentlicher Professor der speziellen Pathologie und Therapie. Er richtete eine Nervenabteilung in der Medizinischen Poliklinik ein. Leipzig wurde zu einer der Hauptstätten neurologischer Forschung. 1882 wurde die "Psychiatrische und Nervenklinik Leipzig" eingeweiht. Den Ruf für das neue Fachgebiet und für die Lehre der Psychiatrie bekam Paul Flechsig.

Augenheilkunde: 1891 ging die Augenklinik unter ihrem neuen Direktor Hubert Sattler an die Universität über. Sattler war einer der bedeutendsten Augenheilkundler Deutschlands. Die wissenschaftliche Augenheilkunde erhielt einen Aufschwung, der der Leipziger Augenklinik hohes Ansehen verschaffte.

Zahnmedizin: 1884 eröffnete Friedrich Louis Hesse das Zahnärztliche Universitätsinstitut. 1908/09 entstand der Neubau der Stomatologie in der Nürnberger Straße.

Pädiatrie: Als Vater der Pädiatrie gilt Otto Heubner in Deutschland. Er war außerordentlicher Professor für Kinderheilkunde. Unter seiner Leitung entstand 1891 eine neue Kinderklinik. Heubner war einer der ersten Mediziner, der das von Behring entwickelte Serum gegen Diphtherie einsetzte. Nach der Berufung Heubners 1894 an die Berliner Charité ließ sein Nachfolger Otto Soltmann die Klinik weiter ausbauen. Durch verbesserte Hygiene und Versorgung mit Muttermilch konnte die Säuglingssterblichkeit stark gesenkt werde.

Quellen:
Die Institute der medizinischen Fakultät an der Universität Leipzig,
Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, Band 3; Leipzig 1909
Kästner, I. und Thom, A. (Hrsg.): 575 Jahre Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig 1990; S. 29 - 114
Stieda, W.: Die Universität Leipzig in ihrem 1000. Semester, Leipzig 1909; S. 89 - 124
Czok, K.: Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung. 1871 bis 1917
in Rathmann, L. (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984 ; S. 200 - 212
Eulenburg, F.: Die Entwicklung der Universität Leipzig im den letzten hundert Jahren, Leipzig 1909; S. 24 - 26
Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät http://www.medizin.uni-leipzig.de/fakultaetklinikum/fak_dok_oeff_zeitstrahl.html eingesehen am 05.06.06

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