Vertraute und unbekannte Weltsichten

Jana Moser (SFB 1199 & IfL)

Publication Date

July 2017

Language

German

Type

Media

Blog Author

Dr. Jana Moser

Auf dem Flug zu einer Tagung in Washington DC, um das SFB-Teilprojekt C05 – also “die Karten” – dort der Community von Kartographen und Kartenhistorikern näher zu bringen: Der Flug hat eine Stunde Verspätung wegen der Staus beim Abflug. Dann aber geht es los und wenig später, nach Essen, Trinken und dem immer noch üblichen Shoppingangebot, gehen viele Mitreisende in den Schlaf- oder Filmmodus über. Da der Tag (es ist 16:30 Uhr MESZ bzw. 11:30 Uhr EST) durch das Herunterziehen aller Luken zur Nacht gemacht wird, sollte auch der Wissenschaftlerin nichts anderes übrigbleiben. Aber weit gefehlt: Der obligatorische “Mitflug” durch animierte Satellitenbildansichten zieht schnell, gnadenlos und immer wieder durch ständig wechselnde Ansichten die Aufmerksamkeit auf sich. Warum? Wegen der unüblichen An- oder Einsichten, und recht ungewöhnlicher, wenn auch nicht ganz unkonventioneller Beschriftungen.  

Sensibilisiert durch die zahlreichen, vielfältigen und immer wieder anregenden SFB-Diskussionen um Raumformate, Verräumlichungen und den Versuch der Überwindung eurozentrischer bzw. westlicher Ansichten schreckt mich ein Blick auf die Karte auf. Da leuchtet gerade eine die gesamte Welt zeigende Karte in zylindrischer Projektion auf, deren bekanntester Vertreter “der Mercator” ist. Dass dort auf dem “Startbildschirm” vor der dann folgenden Überfluganimation Frankfurt als Startort (ohne Deutschland) neben Washington einschließlich der USA beschriftet ist, erscheint noch einsichtig. Aber warum steht in dem mir bisher als Südamerika bekannten Kontinent ausgerechnet “Brasilien”? Und in Afrika “Kongo”? Weiterhin sind noch “Russland” und “China” beschriftet und markieren damit Asien. Wenige Sekunden später startet die Animation und weitere Beschriftungen werden ergänzt, und zwar Indonesien, Iran, Indien, Kanada und Mexiko. China schwächelt inzwischen und verschwindet wiederum wenige Sekunden später flackernd völlig im Dunkel der angezeigten Nacht. Die Beschriftungen sind nicht nur im Hinblick auf ihre Auswahl bemerkenswert. Auf der Kartendarstellung als Satellitenbild gibt es keinerlei Abgrenzungen von Staaten oder anderen Territorien, wodurch der Bezug der sehr großen Schrift zu einer Weltgegend vage bleibt.

Dass die Kartenanimationen auch andere ungewöhnliche und bemerkenswerte Darstellungen bereithalten, geht beim intensiven Grübeln, was es mit der Auswahl der Namen auf sich haben könnte, fast schon wieder unter. Da startet der Flug über einen 3D-Globus in Frankfurt mit einer nach Westen ausgerichteten Karte. Das Ziel Washington liegt in dieser Darstellung genauso eher rechts wie die Südspitze Grönlands, die wir überfliegen. Das ist für das auf genordete Karten trainierte Auge bzw. Gehirn schon eine ordentliche Herausforderung.

Aber welchen Reim mache ich mir jetzt auf die Beschriftung von Kontinenten mit Namen von ausgewählten Staaten? Ein eher unkonventioneller Erklärungsversuch könnte lauten: Die Lufthansa will ihren Gästen auch solche Länder als Ziele empfehlen, die in den täglichen Nachrichten eher schlecht wegkommen, uns also ein ganz neues Bild von der Welt vermitteln. Das wäre doch im Sinne des SFBs mal eine völlig neue Art der Verräumlichung. Will sich die Lufthansa dann selbst auch neue Ziele erobern? Und hoffentlich glaubt man in den Büros der Kartenprogrammierer nicht, dass der Kongo ganz Afrika umfasst bzw. Südamerika nur aus Brasilien besteht und hoffentlich hat keiner etwas dafür bezahlt, dass sein Land auf der Karte erscheint. Wer “die” auch immer sind – denn wer für die Karten verantwortlich ist, ob sie vom Luftfahrtkonzern selbst produziert oder in Auftrag gegeben wurden oder ob man sie von anderen zur Nutzung erworben hat – das ist und bleibt völlig unklar, sozusagen im Dunkel der zumindest auf den Karten von Osten nahenden Nacht.

Biographical Note of the Author

Dr. Jana Moser (SFB 1199 & Leibniz Institute for Regional Geography (IfL), Leipzig University, Germany)

Dr. Jana Moser is a senior researcher at the Leibniz Institute for Regional Geography in Leipzig (Germany) where she works as the manager of the working group on cartography. She earned her PhD in cartography from the Technical University of Dresden (Germany) in 2007 with her study on the history of cartography in Namibia. Her research focuses on visualization methods, the production and use of maps in new media, and the history of cartography and map making. Together with Sebastian Lentz, she leads the SFB project C05 maps of globalization, exploring the productions and reproductions of perceptions and knowledge of globalization through (carto)graphical visualization from the 1860s until today.