Feldforschungsreise zum Thema „Frozen Conflicts in the Southern Caucasus“ nach Georgien, Armenien und in die selbsternannte „Republik Arzach“

Stefan Troebst (SFB 1199, GWZO & Leipzig U)

Publication Date

December 2018

Type

Media

Nunmehr zum zweiten Mal organisierte Stefan Troebst (PI im Projekt B03) mit Martina Keilbach (Koordinatorin des IGK am SFB) für Doktorand*innen der Graduate School Global and Area Studies Forschungsseminare zu aktuellen politischen Fragen mit anschließender Exkursionen in die betreffenden Regionen (2017 nach Estland und bereits 2013 fand eine Exkursion mit Promovierenden nach Bulgarien, Griechenland, Mazedonien statt). Ziel der Studienreise 2018 zu “Frozen Conflicts in the Southern Caucasus“ waren Armenien, Georgien und die selbsternannte “Republik Arzach”. Nach der Rückkehr berichtete Stephan Troebst dem Militätattaché der Deutschen Botschaft in Moskau von der Reise, nachdem sich während der Vor-und später Nachbereitung eine rege Kommunikation aufgrund der Besonderheiten des Vorhabens entwickelt hatte. Im folgenden dokumentieren wir eines dieser Schreiben.

An den
Militärattaché der Deutschen Botschaft Moskau

Leipzig, den 18. September 2018

Betr.: Feldforschungsreise von internationalen DoktorandInnen der Graduate School Global and Area Studies der Universität Leipzig zum Thema „Frozen Conflicts in the Southern Caucasus“ nach Georgien, Armenien und in die selbsternannte „Republik Arzach“

Sehr geehrter Herr Fregattenkapitän,

Ihnen sowie Ihren Kollegen noch einmal herzlichen Dank für Ihre Bemühungen gegenüber dem Verteidigungsministerium der Russländischen Föderation bezüglich des Besuches unserer Gruppe internationaler Doktorandinnen und Doktoranden der Graduate School Global and Area Studies der Universität Leipzig (aus der VR China, Kolumbien, Armenien, Polen, Ungarn und Deutschland) bei der 102. Militärbasis der Gruppe der Russländischen Streitkräfte im Transkaukasus im armenischen Gümri (vormals Leninakan). Dass dem – gleich meinen eigenen Ersuchen beim Generalkonsul der Russländischen Föderation in Leipzig sowie beim Militärbüro der RF-Botschaft Berlin – kein Erfolg beschieden war, war uns im Vorneherein klar. Aber wir wollten, wie bei den anderen militärischen, polizeilichen und sicherheitsdienstlichen Kontakten auf unserer Studienreise zum Thema „Frozen Conflicts in the Southern Caucasus“ nach Armenien, Georgien und in die selbsternannte „Republik Arzach“ (= Berg-Karabach), dann doch den Dienstweg einhalten …

Mit Blick auf das Moskauer Schweigen war unser Besuch beim russländischen Kontingent in Gümri überraschend ergiebig: Wir haben an der Wache der innerstädtischen russländischen Kaserne um ein zeitnahes Treffen mit dem stv. Kommandeur der 102. Militärbasis, Oberst Aleksej Vasilevič Poljuchovič, gebeten, der – wie armenischen Medien sowie YouTube zu entnehmen ist – zugleich die Funktion eines Pressesprechers innehat. Daraufhin hat umgehend ein mit zwei Offizieren bestücktes Escort-Fahrzeug unseren Bus zu der Basis in einer historischen Festung an der westlichen Peripherie der Stadt geleitet.

© Martina Keilbach

In der Propusk-Schleuse innerhalb der Festung trugen wir unser Ansinnen erneut vor, woraufhin ein Major erschien, der sich nach Details unseres Anliegens erkundigte. Der Stadtname Leipzig löste bei ihm freudige Überraschung aus, da er seiner Auskunft zufolge dort als Sohn eines sowjetischen Offiziers geboren wurde und in der sächsischen Kapitale Dresden aufwuchs. Da weder ihm noch der Wache eine Information über unser Kommen vorlag, wurde uns kein Propusk ausgestellt, so dass wir weiter von der Schleuse aus den emsigen Betrieb auf der Basis verfolgten. Allerdings zeigte der Major sich sofort bereit, seinen Vorgesetzten Oberst Poljuchovič zu informieren, welcher nach wenigen Minuten zu uns in die Schleuse stieß.

© Martina Keilbach

Nachdem ich diesem erneut unser Anliegen vorgetragen hatte, zeigte er sich zum einen erfreut über den unerwarteten Besuch aus Deutschland, bedauerte aber, dass er „von oben“ kein „grünes Licht“ erhalten habe und uns daher nicht in seine Basis einladen könne. Auch sei er weder befugt, über das Mandat seiner Einheit noch über den Stand der Kooperation mit den militärischen und politischen Behörden seines Stationierungslandes noch über Inzidente wie den jüngsten im Dorf Panik oder über den von einem Angehörigen seiner Basis begangenen Mord an einer armenischen Familie in Gümri zu sprechen.

Anstatt – was nahe gelegen hätte – das Gespräch an diesem Punkt abzubrechen, berichtete er anschließend mit sichtlichem Stolz Details aus der Geschichte seiner Garnison, die bereits Zar Peter I. („der Große“) in der Festung gegründet habe (historisch zweifelhaft!). Im Scherz bat er uns, seinen aus Leipzig gebürtigen Major doch in dessen Geburtsstadt „mit zurückzunehmen“ – ein Vorschlag, dem der Genannte unter der Bedingung zustimmte, dass er anschließend „mit viel Geld aus Deutschland“ zurückkommen könne. (Das Treffen fand in russischer Sprache statt.)

© Martina Keilbach

Nach einer guten halben Stunde verabschiedeten wir uns nachgerade herzlich von dem kommunikationsfreudigen Oberst und seinem vom Dienst sichtlich zerknitterten Major und fuhren nach Eriwan weiter. Dort hatten wir ein ausführliches Treffen im Verteidigungsministerium mit einem Generalleutnant und einem NATO-Spezialisten, beide englischsprachig und beide deutlich auskunftsfreudiger als erwartet, vor allem was das Verhältnis zu den russländischen Stationierungstruppen und den gemischt russländischen (FSB)-armenischen Truppen zur Sicherung der Grenzen Armeniens zur Republik Türkei und zur Islamischen Republik Iran betrifft.

© Martina Keilbach

In Berg-Karabach trafen wir den dortigen „Außenminister“, sprachen mit dem „Ombudsman für Menschenrechte“ über das – ihm zufolge vorhandene – Problem der „Dedovščina“ in der Armee dieses De facto-Staates und haben in Begleitung des Presseoffiziers des dortigen Oberkommandos einen nahe der „Hauptstadt“ Stepanakert (auf Azeri Xankändi) gelegenen Armeestützpunkt besucht, wo uns sowohl der Kommandeur, ein wortkarger „Held der Panzertruppe“ des Krieges in der ersten Hälfte der 1990er Jahre, als auch die dort vorhandene sowjetische Militärtechnik – Panzer, Schützenpanzer, Haubitzen u. a. – einschließlich Besatzungen stolz präsentiert wurde. Die Generalprobe einer Militärparade auf dem dortigen Exerzierplatz war allerdings nicht unserem Besuch geschuldet, sondern dem Umstand, dass am Folgetag der Gründungstag des Regiments (?) in Anwesenheit des „Verteidigungsministers“ begangen werden sollte. Interessanterweise befand sich unter den beteiligten Soldaten ein (1!) weiblicher – leicht erkennbar am fehlenden Gardemaß.

© Martina Keilbach

Ein Besuch der (verminten) „Kontaktlinie“ gegenüber den Stellungen der Streitkräfte der Republik Aserbaidschan erwies sich – wohl aus Sicherheitsgründen – als nicht möglich, was aber bereits auf dem Formular des vom Verbindungsbüro der „Republik Arzach“ in Eriwan erteilten „Visums“ vermerkt war.

Ein Gesprächstermin im Verteidigungsministerium Georgiens (Sakartvelo) in Tbilisi kam nicht zustande, da wir dort an einem arbeitsfreien Samstag waren. Dafür erwiesen sich der Nationale Sicherheitsdienst und die Polizei dieses Landes als außerordentlich kooperationsbereit: An der „administrativen Trennlinie“ zum russländisch okkupierten Landesteil Abchasien beim Dorf Ruchi nahe der Stadt Zugdidi konnten wir von der zentralstaatlich kontrollierten Seite zum überdimensionalen Flaggenmast der „Republik Abchasien“ hinüberblicken. Besonders interessant war der von der Presseoffizierin des Nationalen Sicherheitsdienstes und sechs bewaffneten Polizeioffizieren begleitete Besuch der mit NATO-Draht bewehrten „administrativen Trennlinie“ zum russländisch okkupierten Landesteil Südossetien beim Dorf Churvaleti nahe der Stadt Gori – aus respektvollem Abstand beobachtet von den Grenztruppen des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russländischen Föderation.

© Martina Keilbach

Die Überwachung unserer Reise durch militärische und andere Geheimdienste war diskret. Zwischenfälle gab es keine – von Straßenblockaden durch Kuh-, Schaf- und Ziegenherden abgesehen. Allerdings erwies sich der Zustand der Straßenverbindung vom Regionalzentrum Akhalkhalaki im Süden Georgiens zum Grenzübergang Ninotsminda-Bavra nach Armenien als erschreckend schlecht – Maximalgeschwindigkeit 15-25 km/h.

© Martina Keilbach

Ungeachtet des Umstandes, dass die Botschafter Armeniens und Georgiens in Berlin sowie der „Ständige Vertreter der Republik Arzach in der Bundesrepublik Deutschland“ bemerkenswertes Engagement bei der Vorbereitung unsere Studienreise an den Tag gelegt haben – der aserbaidschanische Botschafter in Berlin hat im Unterschied zu seinen armenischen, georgischen und „berg-karabachischen“ Kollegen unsere Einladung zum Leipziger Vorbereitungsseminar im Sommersemester leider nicht angenommen (und heute per Mail den berg-karabachischen Teil unserer Exkursion als „illegal“ deklarieren lassen) – war ich von der Zugänglichkeit unserer Gesprächspartner vor Ort selbst in sicherheitspolitisch sensitiven Bereichen positiv überrascht (einschließlich unseres überfallartigen Besuchs der russländischen Basis in Gümri).

Nach Estland 2017 und Südkaukasus 2018 planen wir mit Mitteln aus dem IPID4all-Programm des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes derzeit für 2019 eine Studienreise nach Odessa, Mariupol, Kramatorsk und Charkiv in der Ukraine.

Mit besten Grüßen –     
Ihr

Stefan Troebst
Professor für Kulturgeschichte des östlichen Europa an der Universität Leipzig

© Martina Keilbach


Biographical Note

Prof. Dr. Stefan Troebst (SFB 1199, Leibniz Institute for the History and Culture of Eastern Europe (GWZO) & Global and European Studies Institute, Leipzig University, Germany)

Stefan Troebst studied history and Slavic studies from 1975 on in Tübingen (then West Germany) and at the Free University of (then West) Berlin, Sofia (Bulgaria), Leningrad (today St. Petersburg, then Soviet Union, today Russian Federation), Skopje (then Yugoslavia, today Macedonia), Bloomington, Indiana (USA). In 1984, he obtained a PhD degree in Russian and East European history and Slavic studies at the Free University of Berlin where he also completed his habilitation in 1995. After terms as assistant and associate professor at the Free University of Berlin, in 1992 he left academia and became a German member in the Conference on Security and Co-operation in Europe (CSCE) missions of long duration to former Yugoslavia and the former Soviet Union. In 1996, he was nominated founding director of the Danish-German European Centre for Minority Issues, and in 1999 a full professor at Leipzig University. His research focuses on the history of the subregions of Europe’s eastern half (Southeastern Europe, East-Central Europe, Northeastern Europe and Muscovy/Russia/Soviet Union), on the modern history of Europe, on the history of international relations and international public law, as well as on politics of history and cultures of remembrance in contemporary Europe.