18.04.2016: Von der Miesmuschel gelernt: Wie Knochenimplantate schneller im Körper andocken.

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Ob nach Unfällen oder Krebstumoren – häufig müssen Knochenteile durch Implantate ersetzt werden. Oft stößt der Körper diese jedoch ab. Abhilfe könnte bald eine neuartige Beschichtung der Implantate schaffen, die das Anwachsen von Knochenzellen erleichtern soll, entwickelt von Biochemikern der Universität Leipzig. Die Inspiration dafür lieferte ihnen der Feind eines jeden Seefahrers: Die Miesmuschel. Ihre Ergebnisse haben sie nun in der Fachpublikation „Angewandte Chemie“ veröffentlicht, einem der renommiertesten Magazine der Chemie.

Es gilt seit zwei Jahrzehnten als eines der besten Materialien für künstliche Hüften, Zahnimplantate, Schienbeine und Unterarmknochen: Titan. Weil es besonders korrosionsbeständig und verträglich ist, wird es für mehr als 95 Prozent aller Knochenimplantate eingesetzt. Das Problem bei dem metallenen Knochenersatz ist jedoch häufig, dass er nur schwer in die zu füllende Lücke im Körper einwächst und stattdessen abgestoßen wird. Denn die Zellen des Knochens, an den das Implantat anknüpfen soll, heften sich nur schwer an dessen Metalloberfläche.

Biochemiker der Universität Leipzig haben nun jedoch eine Entdeckung gemacht, die dieses Problem bald Geschichte lassen sein könnte: Sie haben aus Peptiden, kleinen Eiweißen, eine neuartige Beschichtung entwickelt, die das Anwachsen von Knochenzellen an Titanoberflächen und damit an Implantate wesentlich verbessern könnte. Die Inspiration dazu kam ihnen dabei aus der Natur.

„Wie macht das eigentlich die Miesmuschel, wenn sie im Hafen an den Rumpf unzähliger Schiffe andockt“, fragte sich vor fast vier Jahren, die Arbeitsgruppe für Bioorganische Chemie an der Universität Leipzig. Was in der Schifffahrt als hochgradig lästig empfunden wird und ganze Schiffsrümpfe zerstört, brachte die Biochemiker dazu, den Klebstoff zu untersuchen, der die Muschel haften lässt. „Aus dem Protein, das die Muschel bildet um sich anzuheften, haben wir dann den Teil identifizieren können, der für die Klebeeigenschaften verantwortlich ist. Diese Peptide haben wir nachgebaut und nach unseren Bedürfnissen verändert“, erklärt Annette Beck-Sickinger, Professorin für Biochemie und Leiterin der Studie.

Sie und ihr Team haben daraus eine Art Klebstoff, eine Bindungsstruktur, entwickelt, die auf die Oberfläche des Titanimplantats aufgebracht wird, so wie sich die Muschel an dem Schiffsrumpf festhält. „Durch Hinzufügen zweier „Zellklebstoffe“, die von Proteinen des menschlichen Körpers abgeleitet wurden, können sich die Knochenzellen damit an die künstlichen Körperteile heften“, erläutert Mareen Pagel, die durch ihre Doktorarbeit wesentlich zu dieser Methode beigetragen hat.

„Aktuell testen wir diese Methode im Tiermodell. Sind diese Studien erfolgreich, so könnte sie in einigen Jahren auch in der Praxis eingesetzt werden“, so Beck-Sickinger. Mühevolle Heilungsprozesse, in denen gefährliche Entzündungen entstehen können, würden dann deutlich verbessert und beschleunigt.

Im Sonderforschungsbereich „Matrix-Engineering“ suchen Biophysiker, Biochemiker, Chemiker, und Mediziner der Universität Leipzig gemeinsam mit Materialwissenschaftlern, Zellbiologen und Bioinformatikern der TU Dresden und verschiedenen außeruniversitären Einrichtungen nach neuen Methoden und Biomaterialien, die Knochen- und Hautverletzungen schneller heilen lassen und somit den Patienten langwierige Behandlungsprozesse ersparen sollen.

Fachveröffentlichung:
Originaltitel der Publikation in „Angewandte Chemie“: „Multifunctional Coating Improves Cell Adhesion on Titanium by using Cooperatively Acting Peptides“. DOI:10.1002/ange.201511781.